Direkt aus der Fleischerei

Ein Unternehmen stemmt sich gegen den Negativtrend

Sebastian Krause (Märkische Allgemeine)

Es ist 6 Uhr morgens, dunkel und kalt. Die ersten Sonnenstrahlen lassen noch auf sich warten. Nur langsam wachen Tiere und Menschen auf. Für Christoph Lehmann hat derTag aber längst begonnen – die Arbeit ruft, es gibt viel zu tun. Der Geschäftsführer des Agrarbetriebes Bergsdorfer Wiesenrind kontrolliert die Weiden, überprüft das Wasser, plant die Produktion für den Tag. Dann fährt langsam ein Radlader vor und bereitet das saftige Futter für die 550 Rinder des Hofes vor – den Tieren soll es schließlich an nichts mangeln.

Das ist dem Zehdenicker wichtig. Die Rinder werden auf dem Hof geboren, verbringen dort ihr Leben, und werden dort auch geschlachtet, verarbeitet und verkauft. Alles ist ein geschlossener Kreislauf: keineTransporte, keine Zukäufe, keineFremdeinwirkung. Christoph Lehmann hat den Betrieb nach dem Studium der Agrarwissenschaften und Pflanzenbauwissenschaften in Berlin übernommen.Auf der Webseite des Hofes wirbt der Geschäftsführer mit dem Slogan
„Wo Gemeinschaft herrscht, herrscht auch Erfolg.“ Was genau meint er damit? „Alle sind darauf bedacht, dass beim Umgang mit Bo-den und Tier auch unsere zukünftigen Generationen etwas davon haben“, erklärt der 43-Jährige, dessenBetrieb nach dem Motto „Wertschätzung für Boden und Tier“arbeitet. „Alle Kollegen, die hier arbeiten, musste ich nicht suchen, sondern die haben uns gefunden, weil sie das Konzept auch so leben.“

Das hat aber eine Schwachstelle: die Vermarktung der Produkte. Deshalb ist Lehmann mit dem Online-Shop Wursttheke eine Zusammenarbeit eingegangen, um seine Angebote einer größeren Masse zugänglich zu machen. Wursttheke ist ein junges Unternehmen aus Berlin, das sich an Fleisch- und Wurstproduzenten richtet. Nach den Vorstellungen von Gründer und Geschäftsführer Oliver Nyikos soll Wursttheke ein Qualitätslabel werden. „Wir wollen Produkte von Betrieben verkaufen, die handwerklich arbeiten und die Tiere auch noch selbst erlegen“, sagt er. Wursttheke richtet sich eigenen Angaben zufolge an alle, die keinen eigenen Zugang zumFleischer um die Ecke haben. Das ist ganz im Sinne von Christoph Lehmann. 2015 hatte er mit der Direktvermarktung im kleinen Rahmen und mit Dienstleistern begonnen. In den folgenden Jahren musste er aber feststellen, dass er mit seinenVorstellungen an die Grenze stößt,„weil keiner der Dienstleister die eigene Philosophie umsetzen konnte“, schildert er. Ohnehin gebe es für sein Unternehmen mit 18 Mitarbeitern und einer Betriebsfläche von 900 Hektar viele Hürden zu überwinden.

Vor allem die Themen Bürokratie, Umweltverschmutzung und Subventionen hätten in den vergangenen Jahren deutliche Spuren hinterlassen. „Wir sind als Landwirte leidgeprüft und Kummer gewohnt“, sagt Lehmann. „Bei mir heißt das: Eine Woche unter 60 Stunden ist Urlaub.“ Und derzeit gibt es viel zu tun – nicht nur auf den Wiesen und Flächen, sondern auch in Sachen Öffentlichkeitsarbeit und Akzeptanz für das Produkt und das Handwerk. „Es ist wichtig, dass man auf diese Menschen hinweist, weil die sonst verschwinden“, sagt Nyikos, der damit auch die Diskussion um Fleischkonsum versachlichen wolle. Auch Lehmann findet, es bräuchte mehr Wertschätzung für die Arbeit und den Preis von Lebensmitteln.

Der liegt naturgemäß über dem Preis bei einem Discounter. Lehmann betont dabei aber, dass sein Hof kein Bio-, sondern ein konventioneller Betrieb sei. Im Rahmen dessen „können wir alle Voraussetzungen erfüllen, damit es dem Boden, den Tieren und den Mitarbeitern gutgeht“, so der Geschäftsführer. Würde man biologisch arbeiten wollen, bräuchte man mindestens 50 Prozent mehr Fläche für dasselbe Ergebnis. Für die Zukunft wünscht sich der studierte Agrarwissenschaftler vor allem eins: Stabilität. In Zeiten von Ukraine- und Nahost-Krieg, einer unsicheren politischen Weltlage und Klimawandel gebe es kaum die Möglichkeit, in zukunftsträchtige Bereiche zu investieren. Und trotzdem: Die Hoffnung auf bessere Zeiten hat Lehmann nicht verloren. Vor allem von der neuen Bundesregierung wünscht er sich positive Signale für die Landwirtschaft und für Unternehmen, die so arbeiten wie seins. „Man muss das durch Politik und Behörden vorleben, dass das der Weg ist“, sagt er. „Wir sind guter Hoffnung, denn schlimmer kann es nicht werden.“

Erschienen in: Märkische Allgemeine Zeitung, S. 18 (07.03.2025)

URL: https://www.maz-online.de/lokales/oberhavel/zehdenick/oberhavel-bergsdorfer-wiesenrind-kooperiert-mit-online-shop-wursttheke-PVBAH6QZCZBSRC6Z4HJ5TYCYJ4.html